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"Hannoversche Allgemeine", 21.12.2006

Verrockt und verrückt

Rainer Piweks "Winterreise" in der Cumberlandschen Galerie

Wenn bedingungslose Intensität das Ziel sein soll, muss jedes Mittel erlaubt sein. Nach dieser Maxime verfährt der Schauspieler und Musiker Rainer Piwek seit nunmehr 16 Jahren mit Schuberts tief- und abgründiger "Winterreise". Den Hannoveranern bot Piwek, der von 1993 bis 1996 dem Ensemble des hiesigen Schauspiels angehörte, schon mehrfach Aufsehen erregende Einblicke in seine ebenso wundersame wie irritierende "Winterreise"-Werkstatt: zuerst im schubertschen Original, dann in Begleitung eines Jazzpianisten und schließlich in einer ausschweifenden Rockfassung. Mit Begeisterungsstürmen konnte Piwek dabei stets genauso sehr rechnen wie mit dem lautstarken Protest mancher Schubert-Liebhaber.

Doch die Zeiten haben sich geändert. Heute kommen vorwiegend junge Menschen, viele von ihnen unbeleckt in Sachen Kunstlied. Entsprechend vorurteilsfrei genießen sie in der Cumberlandschen Galerie das ebenso verrockte wie verrückte Treiben von Rainer Piwek und seiner dreiköpfigen Band.

Das Rezept ist eigenmächtig, aber immer überzeugend: Die Liebes- und Leidenslyrik Wilhelm Müllers bleibt, Schubert fliegt - fast jedenfalls, denn die Melodiestimme wird zumeist beibehalten. Der Rest ist eine prachtvolle Mixtur aus hauchzarten Balladen, knallhartem Rock und heftigstem Stimmeinsatz: Piwek keift, er schluchzt, er säuselt, er raunt, röhrt und rockt und treibt seinen Zuhörern wohlige Wonneschauer über den Rücken und Tränen in die Augen. Man spürt's mit jedem Ton: Dieser Piwek ist ein Besessener!
Daniel Behrendt
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zuletzt aktualisiert am 21.12.2006