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taz vom 17.9.2003

Absurde Episoden
Gottscheff adaptiert "Der Verwaiser - Beckett. Lesen" für das Thalia in der Gaußstraße


Beckett zu lesen ist keine leichte Übung. Beckett zu spielen eine Herausforderung. Diesen Bandwurmsätzen, vollgestopft mit Bedeutungen und Sinnlosigkeiten, Spielfreude abzuringen, verlangt hohe Regiekunst. Hut ab vor Dimiter Gottscheff, der dieses Wagnis einging und Samuel Becketts letzten Prosatext in Der Verwaiser - Beckett. Lesen für die Spielzeiteröffnung im Thalia in der Gaußstraße adaptierte.

Seine sechs Darsteller werden auf der mit einer Plastikplane überzogenen Bühne zu Akteuren im Zirkus. Denn bei aller Tragik des Stoffes, bei aller Schwarzseherei des Meisters des Absurden, liebt Samuel Beckett in fast jedem Satz zugleich das Komische und Clowneske. Dennoch ist dies eine klare Endzeitvision. Einer Versuchsanordnung für ein Stück, das nie gespielt wird. Einer Beschreibung eines Höllenzylinders, der den direkten Vergleich mit dem Inferno aus Dantes Göttlicher Komödie heraufbeschwört. Die sechs Protagonisten sind "Sucher", Gefangene in einer Art Höllenkegel, aus dem es kein Entrinnen gibt, es sei denn über imaginäre Leitern, die in fragwürdige Nischen führen.

Christa Müller amüsiert als tantige Verzückung, die später bei Doreen Nixdorfs koboldhaften Ausführungen über Temperaturen und Schwingungen und einen "Hauch von Gelb" gedanklich beinahe aussteigen wird. Doch da eilt ihr Helmut Mooshammer zu Hilfe, greift beherzt zu Stühlen, um ihr das Vorrücken der Uhrzeit vorzuführen. Jörg Pose als eine Art Hausmeister mit Wollmütze, der mit ernster Miene Glühbirnenkonstruktionen bearbeiten darf, findet am Schluss zu einem ironischen Vortrag. Asad Schwarz-Msesilamba markiert mit viel zu großen Hosenträgern den Oberclown, und Almut Zilcher verkörpert die theatrale Diva in langer schwarzer Robe und roten Schuhen.

Das frische Personal ist es und viele nette Details, die dem sonst öde dahintröpfelnden Text Farbe und Flair verleihen. Und die laut hämmernden Klänge von Pianist Philipp Haagen, der den Flügel in John-Cage-Manier mit Wäscheklammern bearbeitet hat, die ihm einen metallisch scheppernden Klang geben. Er darf zum guten Schluss sein Instrument zusammenbrüllen und sich ordentlich an den Tasten vergehen. Dazu entrollt Nixdorf ein Transparent mit der Handschrift des Meisters. Aus diesen vielen netten Episoden entsteht schließlich ein herzerfrischender absurd-komischer Abend.

CAROLINE MANSFELD
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zuletzt aktualisiert am 20.4.2006