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Hannoversche Allgemeine vom 24.05.2004


Alles, was Brecht ist

"Herr Puntila und sein Knecht Matti" im hannoverschen Ballhof


Es ist nicht einfach mit ihm. Heißt er nun Berthold oder Bertholt oder Bertolt oder einfach nur Bert Brecht? Jedenfalls war man sich nicht ganz einig am Ballhof; "Herr Puntila und sein Knecht Matti" von "Berthold Brecht" behauptete das Plakat am Eingang des Theaters, während auf dem Besetzungszettel von "Bertolt Brecht" die Rede war. Bertold ist korrekt, Bert geht immer, Berthold manchmal auch, denn das war sein Geburtsname. Aber Bertholt ist falsch. Leider. Andererseits schadet's auch nichts, denn aus solchen Widersprüchen wie dem zwischen Plakat und Programm wird man klug, und klug machen soll dieses Stück ja.

Brecht erklärt mit dem Fall des gutbösen Gutsbesitzers Puntila einiges zu den Themen Identität und Klassenlage - und das Stück selbst kann man gut heranziehen, um Brechts Modell des epischen Theaters zu erklären. Hier wird einiges modellhaft vorgeführt. Der Gestus des Zeigens spielt in dem 1940 nach einer Vorlage von Hella Wuolijoki entstandenen Stück eine wichtige Rolle. Lebensverhältnisse werden als Möglichkeiten im Spiel im Spiel ausprobiert, alle Personen erklären immer, warum sie so handeln wie sie handeln, und ein paar schöne, die Handlung unterbrechende und die Verhältnisse erklärende Lieder gibt's auch.

Vielleicht ist der "Puntila" (wie das Stück, die Rolle des Knechts negierend auch gern genannt wird) das lehrreichste Exponat aus dem Brecht-Museum. Heute spielt man es vor allem aus zwei Gründen: wegen der Gymnasiasten (Bertolt! sag' ich, Bertolt! Bertolt!) und weil man einen guten Puntila im Ensemble hat.

In Hannover heißt er Matthias Neukirch, das ist ein schlacksiger, schwer sympathischer, eher jünger als älter werdender Schauspieler, den man sich gut als Liebhaber in Feydeau-Komödien vorstellen kann oder als Nebenfigur bei Tschechow. Aber dieser sehnige, intelligente Komödiant als Gutsbesitzer, der besoffen menschlich und nüchtern ist? So einer muß doch fett sein und grob, und schwitzen muss er und tapsig tanzen. Neukirch ist doch viel zu fein und fragil dafür. Doch dann passt es erstaunlich gut. Denn Christoph Frick, ein Regisseur, der viel in der freien Theaterszene (vornehmlich in der Schweiz) gearbeitet hat, har das Stück nicht in einen romantischen, sondern klinischen Rahmen gestellt. Puntila als Laborversuch: Wie menschlich darf einer sein, der Erfolg haben will? Am Neukirch lässt sich das gut studieren.

Viva Schudt hat für das Stück einen kühlen weißen Raum gebaut. in einer Vertiefung ist ein Musiker (der wunderbare Philipp Haagen) versteckt, dahinter stehen zwei unbeholfen aus Holzlatten und Kunstgrün zusammengezimmerte Bäume. Alles andere muss herangeschafft werden, was in einem Brechtstück ja kein Problem ist.

Diese romantische Umgebung braucht starke Schauspieler, aber die werden dann auch zum Leuchten gebracht. Matthias Neukirch leuchtet sehr. Moritz Dürr als Chauffeur Matti auch. Aber weil er stets die pragmatische Frage, wem was nützt, stellen muss, hat er es schwer, gegen den schillernden Chef anzukommen; doch mit untergründiger, sehr gezügelter Brutalität geht's. Das Ergebnis wäre wohl nicht in Brechts Sinne: Wehe, denkt man, wehe, wenn die an die Macht kommen.

Dem Regisseur ist's anscheinend egal, ob Brecht das so gewollt hat. Und das geht auch in Ordnung. Die siebziger Jahre liegen schließlich dreißig Jahre zurück. Mit übergroßen Plakaten (in bestimmt sieben Meter Höhe stehen Sätze wie: "Lebe von 400 Euro") zeigt uns Frick seine Skepsis gegenüber Parolen, die naturgemäß immer lauter herausposaunt werden müssen. Einmal sagt Puntila wegwerfend: "Hopp, hopp, hopp, Atomraketen stopp". Das war die einzige Aktualisierung des stark und klug gekürzten Textes - eine müde Geste, die mal eben so eine historische Bewegung entsorgt. Die Utopien, die Kritik, das allesspielt hier keine Rolle mehr.

Der Regisseur findet etwas anderes Interessantes in dem Stück: Klamauk etwa und Sex. Beides lässt er breit ausspielen und manchmal fällt es auch zusammen: Oda Thormeyer als Puntilas Tochter Eva und Martina Struppek als Apothekerin stöhnen sich in orgiastische Höhen und Tiefen, und Sonja Beißwenger als Putzfrau präsentiert eine hocherotische Szene mit einem Putzlappen. Das wird sicher auch den Gymnasiasten gefallen.

Ronald Meyer-Arlt
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zuletzt aktualisiert am 7.11.2005