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Neue Presse vom 24.10.2005


Lessings "Nathan der Weise" im Schauspielhaus: Das gedankenschwere Aufklärungsdrama kommt übberraschend leicht daher, märchenhaft, auch komisch, aber nicht flach. Lebhafter Beifall.

von Siegfried Barth

Gleißend roter Wüstensand vorn im Scheinwerferlicht, dahinter nur schwarze orientalische Nacht. Viva Schudt hat für Lessings "dramatisches Gedicht" einen märchenhaften Raum geschaffen. Die Bühne bleibt unmöbiliert. Wenn Sultan Saladin mal seinen Thron braucht, muss er ihn selbst in die Sandhaufen schleppen.

Regisseur Christoph Frick hat seinen Nathan in den Sand gesetzt, nicht aber diesen Theaterabend. Er nutzt die wunderliche Traumkulisse zu einer kompakten, leichthändigen Inszenierung, die manchmal wie Kinderspiel wirkt, auch Komödiantik zulässt - und doch im Stande ist, eine große Gedankenfracht zu tragen.

Das Ideendrama, das klassische Aufklärungsstück zur Erweckung von Toleranz: Die gab es im Jerusalem des 12. Jahrhunderts nicht, als christliche Gotteskrieger auf ihre Kreuzzüge gingen, die gab es auch zu Lessings Zeiten nicht. Heute ist sie ein Thema wirkungsloser Sonntagsbekenntnisse, Lessings legendäre "Ringparabel" wird als abfragbares Bildungsgut im heiligen Schrein der Werte aufbewahrt.

Überlebenskunst

Dieses Gleichnis, Absage an Glaubenskriege und jeglichen Religionsdünkel, trägt der reiche Jude Nathan dem Sultan vor. Er schöpft es nicht aus dem Schatz seiner Weisheit, sondern erfindet es aus einer Not heraus, um den mächtigen Moslem zu beeindrucken und seinen Hals zu retten. Fricks Inszenierung betont diesen pikanten Aspekt: Nathan predigt den Toleranzgedanken nicht von der Kanzel, er entwickelt ihn sozusagen im Angstschweiß inmitten eines mörderischen Gesinnungsterrors.

Gaststar Hannes Hellmann ist denn auch kein Würdenträgertyp, sondern ein gestandenes Mannsbild ganz von dieser Welt, ein Künstler der praktischen Vernunft. Er ist zum Zorn und zum Ausdruck großen Leidens fähig, im Alltag aber ein kühler Kopf und stets auf der Hut. Die Parabel spricht Hannes Hellmann so cool, dass sie durch ihre pure Schlichtheit besticht.

Lessings Bühnensprache, das sind oft Räsonnier- und Argumentierdialoge, fest und fugenlos ins rhythmische Korsett gegossen. Das ist nicht leicht zum Fließen zu bringen, meist gelingt es aber. Sonja Beißwenger (Nathans Tochter Recha) und Michaela Steiger (seine Haushälterin) gewinnen ihrem Text eine Frische ab, die oft ans Komödiantische grenzt. Michaela Steiger erzielt Lacherfolge ohne jeden Hauch von Albernheit. Wolf Bachofner (der Sultan), Moritz Dürr (ein Derwisch) und der brilliante Mathias Buss (ein Klosterbruder) gewinnen sehr klare Konturen. Daniel Lommatzsch, der junge Tempelherr, betreibt allerdings so viel Sprach-Auflockerung, dass man ihm den einstigen Gotteskrieger aus Deutschland kaum noch glauben mag.

Wie spielt man diesen unglaublich märchenhaften Schluß, wo sich alle stumm umarmen, weil sie entdeckt haben, dass sie über die Konfessionsgrenzen hinweg miteinander verwandt, verschwistert oder verschwägert sind? Lieber gar nicht, Frick lässt das rührselige Schlussbild weg. Dabei hätte er sich das fast leisten können, weil Märchenhaftigkeit den ganzen Abend prägt. Daran hat Philipp Haagens Musik hohen Anteil, die rhythmisch im Hintergrund schnalzt und grunzt und manchmal zu rülpsen scheint. Das könnte komisch wirken, tut es aber nicht. Es lässt nur aufhorchen, und das ist gut für die Konzentration.
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zuletzt aktualisiert am 2.11.2005