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KulturSzene 175, 02/2008
Brachial, genial, genital

Thomas Dannemann inszeniert "Wie es euch gefällt" am Stuttgarter Staatsschauspiel


"Wie es euch gefällt" von William Shakespeare ist ein Stück, das heute Gefahr läuft, seinen Titel Lügen zu strafen. Ungewöhnlich arm an äußerer Handlung, szenischer Komik und Action, biegt die Verkleidungskomödie schon im zweiten von fünf Akten in ein langatmiges Palaver über zeitgenössische - also elisabethanische - Liebes-, Herrschafts- und Lebensideale ein. Bis zur Zielgeraden mit Vierfachhochzeit und staatstragendem Happy End wird ziemlich geschwätzig eine Kontrastfolie gespannt über so spannende Gegensätze wie den zwischen der schwärmerischen Liebe im Stil Petrarcas und einem sittlich geläuterten Gefühlsrealismus; oder zwischen den Zwangsverhältnissen höfischer Etikette und dem pastoral verklärten, aber keineswegs ganz zwanglosen Naturzustand.

Das alles klingt nach philologischen Etüden - und nach Bühnenlangweiler. Hat doch Shakespeare mit seinem Diskussionsstück weniger eine Charakterkomödie geschrieben, vielmehr die rhetorischen Geister seiner Zeit auf die Zungen seiner Figuren gebannt. Man muss heute viel Papierstaub fressen, um sich zum Schauplatz durchzubeißen; und der ist dann ein Oberseminar, wenn es nicht gelingt, die von Textmassen verschatteten Reize der Komödie zu entdecken. Am Stuttgarter Staatsschauspiel, wo man den Regisseur Thomas Dannemann auf das Stück losgelassen hat, tritt diese andere Seite brachial, genial und bisweilen auch genital hervor: als fulminanter Theaterspaß im Schauspielhaus, als Wunder an Scherz, Satire, Ironie und tieferer sexueller Bedeutung.

Freilich hat Dannemann "Wie es euch gefällt" so inszeniert, wie es manchen miss fällt. Nackte Haut, eine rülpsende Großkotz-Parodie oder eine Tomaten- und Orangen-Schlacht nach Art von Volker Lösch trieben Besucher aus dem Saal, und nach der vier Stunden langen, aber nie langweiligen Premiere formierte sich eine Buh-Front gegen den Regisseur. Es ist bedauerlich, dass reflexhafte Wahrnehmungsverweigerung den Blick verstellt für großartige Komödiantik, aberwitzig draufgängerisches Schau-Spiel und eine Fülle brillanter Regieeinfälle. Kurz, für ein Spektakel, wo Theater nicht wie schlechter Film daherkommt, sondern von der Realpräsenz seiner Akteure lebt, von ihrer Spontaneität und leibhaftigem Spielwitz. Dagegen fällt jeder säuerliche Klamauk-Einwand auf sich selbst zurück. Zumal Dannemann durchaus eng am Text bleibt. Er hat das Stück nicht zertrümmert, nur die endlos geflochtenen Suaden- und Tiraden-Bänder auf ihre Knotenpunkte konzentriert. Daraus entwickelt er Spielszenen von hoher Erkenntlichkeit, aufgemischt mit einem Feuerwerk aus Slapstick, Comedy und quasi improvisatorischen Pointen. Versteht sich, dass dann auch Worte fallen, die nicht in der Folio-Ausgabe von 1623 stehen und auch nicht in Thomas Braschs Übersetzung. So viel an lockerer Vergegenwärtigung (und Ver"gag"eierung) verkraftet Shakespeares Humor allemal. Vereinfacht wird die politische Ausgangssituation.

Statt des entzweiten herzoglichen Bruderpaars - einer verbannt den anderen widerrechtlich vom Thron - gibt es bei Dannemann nur einen Potentaten, und den spielt Michael Stiller als kotzigen Gangsterboss unter höfischer Lockenperücke. Es geht eben nicht mehr um den Bruderzwist und erst recht nicht um die Wiederherstellung legitimer Herrschaft im Sinne elisabethanischer Staatsdoktrin. Es geht um das, was bei Shakespeare bleibende Brisanz stiftet: um die Maskeraden der Liebe in einem tollen Freiraum, der ein Gender-Lunapark jenseits festgefügter Geschlechtsidentitäten und erotischer Rollenfixierungen ist. Dieser Freiraum ist der Wald von Arden - kein Exil der Verbannten mehr, sondern ein Asyl der Ausgestiegenen: halb Selbsterfahrungszone, halb polymorph-perverser Lust-Spielort.

Als Entertainer in eigener Sache, begleitet von drei Musikanten in neckisch kurzen Höschen, hockt die Höflings-Gang im Parkett. "Wie es euch gefällt" spielt man sich im wörtlichen Titelsinn selbst vor: als Theater im Theater, Illusionsbrüche inklusive. Und weil sich jeder zuvörderst in der Selbstbespiegelung gefällt, zeigt Stephane Laimes Bühne eine halbrunde Spiegelwand hinterm Spielpodest: ein hermetisches Narzissmus-Kabinett. Und weil Oliver, der seinen Bruder Orlando um sein Erbe prellt, ein großes, greinendes Kind und der naivste aller Selbstverliebten ist, spielt der famose Martin Leutgeb gleich auch die holde Celia: als Männlein wie Weiblein ein feister Wonneproppen, der am Ende sich selbst knutscht im Spieglein an der Wand.

Shakespeares Verwirrung der Dress- und Geschlechtercodes machen Dannemann und die Kostümbildnerin Regine Standfuss zum Trash- und Travestie-Prinzip: Um- und Ausziehen gehört zum Takt der Inszenierung. Auf die Spitze treibt es Rosalind, eine Frau, die einen Mann spielt, der eine Frau spielt. Claudia Renner wechselt vom kleinen Roten ins Männerbrust-Korsett mit Pimmelbehang, paradiesisch entkleidet (und doch verkleidet) im künstlichen Paradies zu Arden, wo Christoph Gawenda als geliebter Orlando sich nur ein Feigenblatt vors Gemächt hängt. Der nackte Schein trügt - aber es sieht aus wie Adam und Adam beim Plausch übers Eva-Prinzip.

Die exzellenten Schauspieler zeigen das, als belausche man zwei Späthippies in der Tonlage "Lass uns mal ganz offen reden ..." Überhaupt lässt das bestens karikierende Ensemble kein komödiantisches Register ungezogen. Boris Koneczny enttarnt den künstlich melancholischen Jaques als Zyniker, Thomas Eisen legt als alter Diener eine akrobatische Fall-Nummer aufs Podest, Dorothea Arnold gibt die süße Phoebe als garstige Keifzange, ihr Möchtegern-Liebhaber Silvius ist bei Christian Brey ein Flennermännlein mit hochnotkomischem Auftritt als Kickboard-Bote. Andreas Schlager macht als grandioser Narr Touchstone die Papageno-Nummer, wünscht sich ein Weibchen aus dem Publikum und kriegt die Putzfrau (köstlich verlegen: Susana Fernandes Genebra). Und Elmar Roloff schillert in allen Parodiefarben vom leisetreterischen Hofdiplomaten über den Ossi-Malocher bis zum Pfaffen, der mit Donnerhall in seine Kirche röhrt.

Weder Bibelworte noch sexuelle Gelüste münden hier in den Hafen der Ehe. Aber auch umgekehrt entpuppt sich das Idyll, wo die Aussteigergemeinde schon mal das Obertongebrumm bekloppter Esoteriker anstimmt, keineswegs als friedliche Free-Sex-Kolonie. Gewalt ist von Anfang an im Spiel: Schon im Clinch mit Bruder Oliver wird Orlando brutal ein Abfallsack um die Hüften geschnürt, und dann zieht der Müllkippen-Jesus in den Wrestling-Fight gegen den Ringer Charles (Sebastian Röhrle als Dumpfbacke mit Gebissschiene).

Aggressivität überflutet das Paradiesgärtlein geschlechtlichen Erkennens. Am Ende steht ein chaotischer Passionsspiel-Karneval zwischen Blasphemie und sexueller Gier: ein durchgeknalltes Satyrspiel der Zivilisation, keine Utopie.

Martin Mezger
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zuletzt aktualisiert am 30.1.2008