Presse > Kritik > 27. Februar 2006
Lebenspralles Theater

Sommernachtstraum: Shakespeare beim Wort genommen. Jorinde Dröses hinreißende Inszenierung hat gute Chancen, am Thalia- Theater zum Renner der Saison zu werden.


Von Armgard Seegers

Der "Sommernachtstraum" ist Shakespeares makelloses Meisterwerk. Das Thalia-Theater hat mit Jorinde Dröses Inszenierung der romantischen Komödie voller magischer Macht nun möglicherweise den Renner der Saison im Programm. Denn der jungen Regisseurin ist gelungen, was man leider sooft schmerzlich vermißt: Lebenspralles Theater für Verliebte, Verrückte und auch Vernünftige, das intelligent ist und dazu noch Spaß macht. Ein bis in kleinste Rollen hinreißend spielfreudiges Ensemble führt uns mit Verve und Witz, mit Slapsticks und allerlei Anspielungen auf unseren Alltag vor, daß die Liebe ein seltsames Spiel ist.

Das hat sich zwar schon einigermaßen herumgesprochen, ändert aber nichts dran, daß es wohl kaum etwas Schöneres gibt, als anderen bei Liebeskatastrophen zuzuschauen. Zumal, wenn sie so hinreißend gespielt werden wie auf der Bühne des Thalia.

Vier Paare führen vor, was passiert, wenn die erotische Anziehung zwischen Liebenden und Geliebten sehr ungleich verteilt ist. Theseus, der Herzog von Athen, erobert die Amazonenkönigin Hippolyta mit Gewalt. Halbtot und voller blauer Flecken muß er sie wie ein erlegtes Wild herumschleppen lassen. Von Liebe also keine Spur.

Ganz anders zwei junge Männer, Lysander und Demetrius, die schier überlaufen vor Liebe zu Hermia. Die wiederum liebt nur Lysander, soll aber, nach ihres Vaters Willen, Demetrius heiraten. In den hat sich Helena vergafft. Er will aber partout nichts von ihr wissen. Man rennt miteinander und voreinander davon in den Wald. Dort herrschen andere Naturgesetze, vor allem aber Oberon und Titania. Dazu gehört Puck, ein dauerfernsehender, mauliger Teenie, der den Aufträgen seines Herrn nur halb zuhört und weitere Verwirrungen stiftet.

Auch fünf Handwerker mit Berufen, die keiner mehr braucht, treffen sich im Wald zur Probe eines Liebesdramas. Wenn sie von ihren Träumen sprechen, möchte einer seine Mutter einfrieren und wieder auftauen lassen, wenn er 70 ist, damit sie sich um ihn kümmern kann. Ein handfester Wunsch im Zeitalter des Rentenschocks.

Überhaupt ist es das Zeitnahe, das aus dieser Inszenierung so ungezwungen, unverkrampft und überzeugend spricht. Alles wirkt spielerisch leicht, wie eben erfunden. Hier wird nicht einfach etwas behauptet, hier wird das Leben dargestellt. Die jungen Liebenden, das sind Leute von heute, mit ihrer haltlos romantischen Verzückung, ihrem Exhibitionismus der Gefühle. Lysander hat einen hübschen französischen Akzent und in Person von Daniel Hoevels auch einen gut trainierten Körper. Klar, daß Hermia (Anna Blomeier) ihn attraktiv findet. Demetrius (Jörg Koslowsky) ist bereit, sich jederzeit mit seinem Rivalen zu schlagen. Und Helena (Paula Dombrowski) zickt und keift mit Hermia wie ein verwöhntes Gör, dem man seine Puppe weggenommen hat. Bis dann alles anders kommt, weil Puck (Tino Mewes) sein Liebeskraut versehentlich falsch verteilt hat und beide Männer nur noch Helena lieben.

Papierdünne Wände (Bühne und Kostüme: Susanne Schuboth) trennen die Wirklichkeit der Liebesverrückten von der Traumwelt Oberons (Norman Hacker) und Titanias (Natali Seelig). Ein skurriles Paar mit Wallewalle-Haaren und Elben-Ohren wie aus "Der Herr der Ringe". Sie ist auf dem Eso-Trip, spricht mit Blumen und herrscht über ein Wesen, das Verena Reichhardt mit der Anmut einer Hummel spielt, die vergebens zu fliegen versucht.

Ganz normal, wie aus einer Nachmittags-Talkshow entsprungen, also geistig ein wenig unterbelichtet, scheinen da nur die Handwerker. Auch ihr Liebesdrama von Pyramus und Thisbe zeigt, daß Mann und Frau nicht zusammenkommen können. Das simple Stück, ein sicherer Brüller in jeder Aufführung, ist hier spürbar verhalten. Vielleicht, um den Irrsinn der wahren Liebenden besser hervortreten zu lassen. Ein wenig mehr Blödsinn hätte gutgetan, wie überhaupt die wunderbare Inszenierung nach der Pause schwächelt. Ganz gewiß aber hat Thomas Schmauser als Handwerker Zettel eine Glanzleistung gezeigt. Noch nie sah man ihn so gut. Kaum zu erkennen, mit Wollmütze und Hasenzähnen, spielt er den Esel, in den sich Titania so hemmungslos verliebt, so aufrichtig, so ganz bei sich, daß man in diesem Tier den wahrhaft liebenden Menschen erkennt.
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zuletzt aktualisiert am 27.2.2006