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NDR, 5.10.2000

Ohne Rotwein - pardon: sans Vin rouge - kann man den Abend gar nicht genießen. Heißt es - vor diesem Abend. Und eine lässige Gauloise zwischen den Lippen gehört auch unbedingt dazu. Für diese "Nuit avec Jacques Brel" - der bekanntlich seit 22 Jahren tot ist und deshalb nur als Asche in der Urne dabei sein kann, bei dieser ziemlich abstrusen Veranstaltung.

Mein Bruder macht im Tonfilm die Geräusche - hieß früher einmal ein deutscher Schlager. Gestern machte Philipp Haagen diese Geräusche. Entweder am Piano, das ist präpariert mit Frotteetüchern, Dominosteinen und irgendwelchen chinesischen Kugeln. Oder er klemmte sich den riesigen Trichter einer Tuba vor den Bauch und blies - und spielte noch gleichzeitig am Piano. Nicolas Rosat rasiert sich inzwischen, Alexander Simon sucht sein Schuhputzzeug.

Wenn zwischendurch eine persönliche Bemerkung erlaubt ist: ich selbst habe Mineralwasser getrunken - das ist eben so eine Gewohnheit während der Arbeit. Und Nichtraucher bin ich auch noch. Trotzdem habe ich erstens alles verstanden und mich zweitens auch noch blendend unterhalten. Unter diesen Franzosen.

Rotwein wird auf der Bühne gebechert. Und zwar ein ziemlicher Fusel, jedenfalls liegt leichte Säure in der Luft. Gequalmt wird auch - und das Streichholz selbstveständlich an der Tischkante oder am Fußboden entzündet. Es riecht bald scharf nach Schwefel - ganz passend für St.Georg, im ziemlich heruntergekommenen und deshalb so schönen Theater, dem früheren Neuen Cinema.

Um es nun ganz kurz zu machen: leeren Sie ein Glas Vin rouge auf Jacques Brel - Gott hab ihn seelig. Rauchen Sie noch eine letzte Zigarette. Oder tun Sie beides auch nicht. Gehen Sie aber auf jeden Fall zum Jacques-Brel-Abend ins Neue Cinema. Philipp Haagen hat die Musik blendend arrangiert. Und Nicolas Rosat und Alexander Simon singen großartig. Übrigens: Französisch-Kenntnisse sind immer gut. Aber nicht unbedingt nötig.

Johannes Schulz
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zuletzt aktualisiert am 26.8.2006