Presse > Kritik > 5.10.2000
Hessische - Niedersächsische Allgemeine, 17.01.00

Die rechte Zeit für Melancholie

Dem zu früh gestorbenen französischen Chansonnier Jacques Brel widmete das Staatstheater im Casa Nova eine nächtliche Andacht.

Nachts im Casa Nova ist die rechte Zeit für Melancholie. Piano und Tuba, Plastikblumen und Sofa, Rotwein und Zigaretten. Drei Typen im Anzug nehmen Abschied, nächtliche Andacht für einen toten Freund. "Wie ist Fernand eigentlich gestorben?", fragt der eine, vor sich hinstarrend auf dem Sofa sitzend und jeder erzählt etwas anderes. Knappe Auskünfte, skurrile Impressionen, alles wie geistesabwesend in den Raum gesprochen. Fernand, der nun stets Abwesende, ist noch präsent. Seine Asche ist in einer Urne aufgehoben, und wenn die drei Freunde ihre Gläser heben, ist stets ein viertes dabei. "Prost Fernand" und, platsch, landet der Rotwein in dem auf dem Boden stehenden Blecheimer. So viel Wein ist nicht gut für Tote.

Drei Schauspieler entführen mit der lakonischen Beiläufigkeit eines Kaurismaki in den poetisch-traurigen Kosmos von Jacques Brel. Tristesse, die so schön schmerzt, weil sie meisterhaft inszeniert ist, Alexander Simon vom Burgtheater Wien und Nicolas Rosat vom Luzerner Theater singen dazu bekannte Chansons des viel zu froh gestorbenen französischen Sängers, Von Leere und Liebe ist da die Rede, vom Regen, der tropft, und vom Herz, das weint, die zwei auf der dunklen Bühne singen mit der glühenden Kippe in der Hand und der dritte, Philipp Haagen (Staatstheater Hannover) am Klavier streicht auch mal die Saiten und spielt die Tuba.

Das mutet so verloren an, ungefähre Bewegungen blähen, sich dann mit Bedeutung auf, drei sitzen in einem Boot der Trauer flussabwärts. Erinnerungen wachsen wie von selbst, Fernand, Brigitte, bicyclette. Nichts ist wie es scheint bei dieser nächtlichen Andacht, alles bleibt auch innen, nistet sich ein im Kopf.

Am richtigen Platz

Fernand ist das Vehikel eines Abend, der gegen den allüberall präsenten Strom der Spaßkultur und lauten Oberflächlichkeit auf die morbide Schönheit und die stille Melancholie der vergessenen Chansons eines Jacques Brel setzt. Trotzig eine ganze Stunde lang, bis die Mitternacht eingeläutet ist. Je ne quitte pas. Ich kann dich nicht vergessen. Eine Theaterminiatur am richtigen Platz, zur richtigen Zeit. Und vor allem mit den richtigen Schauspielern. Die konnten tatsächlich singen. Es gab eine Zugabe und Fernand war immer noch dabei.

Juliane Sattler
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zuletzt aktualisiert am 26.8.2006