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Theater der Zeit, Januar 2005, S. 32 ff.
PINGPONG-SYSTEM
Susann Oberacker im Gespräch mit Fritz Feger und Philipp Haagen

Es war Musikerliebe auf den ersten Blick: Fritz Feger und Philipp Haagen haben sich beim Spielen von Sinatra-Songs in einer Hotellobby kennengelernt. Für die Bühne entdeckt wurden sie von dem Komponisten Laurent Simonetti. Das war in den 90er Jahren in Hannover unter der Intendanz von Ulrich Khuon. Mit ihm gingen die beiden 2000 ans Hamburger Thalia Theater, wo sie gemeinsam mit Michael Verhovec ein Trio bilden. Von Haus aus sind sie klassische Musiker: Haagen ist Pianist, spielt außerdem Posaune und Tuba. Feger singt, spielt Cello und Bass. Beide arbeiten auch als Komponisten. Am Thalia Theater schrieben sie zuletzt die Musik zu Christiane Pohles Inszenierung von Ferdinand Bruckners "Früchte des Nichts".


TdZ: Ist der Bühnenmusiker nun einer, der für die Bühne oder auf der Bühne Musik macht?

Fritz Feger: Sowohl als auch. Als wir Ende der 90er Jahre mit Theatermusik angefangen haben, da gab es am Schauspielhaus in Hamburg noch einen Orchestergraben mit einer richtigen Kapelle. Anselm Weber inszenierte "Der Untergang der Titanic", eine Komödie in 33 Gesängen von Hans Magnus Enzensberger und Franz Wittenbrink. Und da saßen wir mit neun Musikern. Das gab es auf der einen Seite, auf der anderen gab es die Einspielungen vom Band - etwa in den Inszenierungen von Jürgen Kruse am Thalia Theater. Was derzeit stärker in den Vordergrund rückt, ist, daß die Musiker auf der Bühne spielen. Das hat praktische Gründe: Statt der vielen Musiker, eines Komponisten, der nicht auftritt, und eines Korrepetitors, der alles einstudiert, hat man man zwei, drei Leute, die alles im Paket sind. Und als Statisten kann man die auch noch einsetzen.

TdZ: Nun muss nicht jeder Musiker auch noch ein freudiger Darsteller sein. Sie beide spielen viel auf offener Bühne und haben offenbar Spaß daran.

Philipp Haagen: Ich spiele wahnsinnig gern auf der Bühne, weil eine live gemachte Musik eine andere ist als eine Konserve, die ich fertig produziert habe. Wenn zum Beispiel ein Schauspieler improvisiert, dann muss ich spontan darauf reagieren.

Feger: Auf der Bühne im Kostüm zu sitzen und zu spielen, das ist super, weil man Teil der Performance ist. Man hat mit dem Publikum Kontakt - und mit den Schauspielern. Produzieren hat auch seinen Reiz, weil man nicht damit beschäftigt ist, zu üben, was man auf der Bühne vorspielen will, sondern sich bis zur Premiere auf kleinste Details der Komposition konzentrieren kann. In diesem Fall ist es eindeutiger, dass man Mitglied des Regieteams ist.

TdZ: Wie gehen Sie an eine Bühnenmusik heran?

Feger: Es gibt kein allgemeines Rezept, wie man eine Bühnenmusik angeht. Es ist immer eine Kombination aus mehreren Fragen: Was steht im Stück? Was sind das für Figuren? Gibt es einen historischen Kontext? Will man den bedienen, will man den nicht bedienen? Eine große Rolle spielt das erste Treffen mit dem Regieteam. Der Bühnenbildner zeigt, wie das später alles aussehen soll. Und dann gibt es ein Pingpong-System. Es kommt ein Vorschlag von der Regie, und wir sagen: "Hervorragende Idee" oder "Das ist Blödsinn, weil" - und so weiter. So tasten wir uns an das heran, was wir im Hinterkopf haben: dass man auch aus rein musikalischer Sicht etwas Geschlossenes macht.

TdZ: Sie gehen also zunächst vom Raum aus?

Haagen: Ja. Bei der Bauprobe sehen wir uns das Bühnenbild an. Bei "Früchte des Nichts" am Thalia Theater ist in dem engen Raum im ersten Teil vieles einfach nicht möglich. Da können wir weder einen Flügel hinstellen noch mit der Tuba herumlaufen. Also setzen wir uns an die Rampe und knallen den Leuten elektrische Musik ins Gesicht. In dem Moment, in dem sich das Bühnenbild ändert, ändert sich aber auch die Musik. In Christiane Pohles Inszenierung fällt im zweiten Teil die Wand um. Man hat dann die ganze Tiefe des Raumes und kann mit ganz anderen klanglichen Möglichkeiten arbeiten. Es ist die Szene, in der Creszenz in die Kirche tritt. Es war klar, dass wir da sakrale Klänge spielen. Wenn ich eine Musik mit einem großen Hall habe, dann brauche ich auch den Raum dazu. Es geht also darum, ob die Musik zu dem Raum passt. ich kann nicht, wenn ich gerade in einer Nische hocke, behaupten, ich sitze gerade in einer Kirche.

TdZ: Wovon lassen Sie sich für diese Klänge inspirieren?

Haagen: Bei "Früchte des Nichts" war Laibach die Vorgabe von Christiane Pohle. Das ist eine slowenische Gruppe, die richtig harte Musik macht. Weil wir aber nur zu zweit sind und außerdem das Schlagzeug fehlt, haben wir uns gefragt: Welche Klänge kommen von uns, was ist da möglich? Fritz hat den grünen Loop-Sampler, dieses Effektgerät. Mit den Effekten haben wir schließlich gearbeitet - das heißt, das Gerät schreibt einem vor, was man machen kann. von dem Geräsch, das von dem Gerät oder einem Instrument kommt, von dem gehen wir aus. Wenn ich mit einem präparierten Klavier spiele, wie ich es bei Dimiter Gotscheffs Inszenierung von Becketts "Verwaiser" getan habe, dann gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder ich präpariere wild drauflos und habe plötzlich ein Imperium von verschiedenen Klängen. Dann muss ich etwas komponieren, das dazu passt. Oder ich will, dass genau der Ton B ein perkussives Geräusch macht, der Ton C normal klingt und der Ton D ein sanftes Mehrklanggeräsch macht. Und dann präpariere ich ganz bewusst, damit das melodisch zusammenpasst. Von diesen beiden Seiten her entwickele ich die Komposition.

TdZ: Also erst ist das Instrument da, und dann entsteht die Komposition?

Feger: Es ist tatsächlich oft so, dass das Instrument - und diesen Begriff kann man ziemlich weit fassen - die Keimzelle einer Komposition ist. Wenn man mit einem Instrument "spielt", findet man immer wieder Klänge, die man ihm vorher noch nicht entlockt hat. Das geht damit los, dass man etwa Akkorde auf dem Cello ausprobiert und dabei auf einen neuen Klang stößt - egal, ob per Zufall oder durch systematische Suche. In genau der Sekunde, in der du die neue Farbe hörst, spring der Motor der musikalischen Vorstellungskraft an und du entwickelst einen Kontext, in dem diese Harmonie musikalischen Sinn ergibt. Am anderen Ende der Skala steht dann so was wie die kleine grüne Kiste oder die am Rechner zerhackte Aufnahme des Geräusches eines Küchengerätes. Wir benutzen die Begrenzung auf wenige Instrumente oder Spielweisen sogar ganz gezielt als Kompositionshilfe. Ein Sound ist nur in einer eingeschränkten Bandbreite von Musik sinnvoll verwendbar, und so erreicht man durch die Beschränkung auf Sounds schon von allein eine gewisse stilistische Stringenz. Es gibt so viele Möglichkeiten - da lauert die Beliebigkeit an jeder Ecke.

TdZ: Stichwort "Beliebigkeit": Sie spielen elektrischen Hardcore und sakrale Musik. In Tomaz Pandurs Trilogie "La Divina Commedia" haben Sie den hohen Bühnentrichter mit mystischen Klängen gefüllt. Sie spielen Jazz und schrecken - etwa im Liederabend "Jägermeister" - auch nicht vor deutschem Liedgut zurück. Ist stilistisch für Sie alles möglich?

Feger: Die Gefahr ist schon, dass man sich hier und da bedient. Im Grunde ist es aber das Beste, was man über Theatermusik sagen kann, dass man stilistisch nicht festgelegt ist. Das Bedürfnis des Theaters danach, dass etwas ungewöhnlich oder unbequem klingt, ist natürlich für einen Musiker eine tolle Chance, auch wirklich quere Sachen zu machen und jedes Mal wieder etwas Neues auszuprobieren. Im Gegensatz zum CD- oder Konzertmarkt. Da gilt: egal, wie abgefahren das ist, was du machst, wenn du etwas erreichen möchtest, musst du dich festlegen, musst du einen persönlichen Stil kreiren. Das müssen wir als Theatermusiker sicherlich auch. Aber die musikalischen Grenzen, innerhalb derer wir uns bewegen, sind wesentlich weiter.

TdZ: Aber Sie haben schon den Anspruch, dass Ihre Musik auch unabhängig von der Inszenierung hörenswert ist - auch im heimischen CD-Player noch einen guten Ton macht?

Feger: Ja, unsere Musik soll eigenständig funktionieren. Das ist aber nicht vorrangig das Bestreben von Regisseuren. Die wollen meistens, dass einzelne Stücke in bestimmten Situationen funktionieren. Man spielt also hier einen Popsong und dort tritt eine afrikanische Sängerin auf, weil das gerade so schön passt. Das ist aus der Sicht der Musiker natürlich unbefriedigend. Wir streben eine stilistische Geschlossenheit innerhalb einer Inszenierung an, aber auch darüber hinaus. Das heisst: Was wir heute machen, muss etwas damit zu tun haben, was wir gestern gemacht haben und morgen machen werden. Der Theatermacher setzt die Musik jedoch in einen anderen Kontext, dem geht es naturgemäß vor allem um die Szene. Wenn etwas Hochdramatisches passiert und ich auf dem Cello dazu einen einzelnen Ton spiele, dann wackelt die Wand. Während der gleiche Ton auf einer CD zu Hause einfach langweilig klingt. In diesem Spannungsfeld bewegen wir uns: einerseits das Reduzierte und Theaterdienliche, andererseits Musik in eigenem Recht, die mehr ist als Untermalung.

TdZ: Welche Funktion soll Ihre Musik denn innerhalb einer Inszenierung haben?

Feger: Idealerweise bildet die Musik eine eigenständige Bedeutungsebene, die mit den Ebenen der anderen Komponenten wie Text, Spiel der Schauspieler, Bühne, Kostüme, Licht, in stützender oder kontrastierender Beziehung steht. Letzteres ist dann der Fall, wenn zum Beispiel die Musik schon Gram erzählt, während die Figur auf der Bühne noch hofft, dass sich alles zum Guten wendet. Bei "Früchte des Nichts" hat es uns viel Freude bereitet, am Anfang Gerts und Foss' Protest-Aktivismus mit der lauten elektronischen Musik zuzuspitzen und die Lust am Destruktiven und Absurden herauszuarbeiten, die diesen beiden Charaktere ausstrahlen. Doch im Theaterbetrieb muss sich die Musik ihre Rolle als gleichwertiges Element noch erarbeiten. Die meisten Regisseure, Dramaturgen und Intendanten denken eher in den traditionellen Dimensionen Bühne, Ausstattung, Licht, Strichfassung, Arbeit mit Schauspielern.

TdZ: Zurück zum "präparierten Klavier", das eine Spezialität von Ihnen ist, Herr Haagen. Wie gehen Sie beim Präparieren vor?

Haagen: Bei "Jacques un pour soi", einem Jacques-Brel-Abend, den Armin Petras inszeniert hat, habe ich großflächig über mehrere Töne präpariert. Die Saiten mit einem Handtuch beschwert, so dass es wie ein Zupfinstrument klang, oder einen Holzblock auf die Saiten gelegt, dann klang es metallisch. Bei Dimiter Gotscheffs Beckett-Inszenierung "Der Verwaiser" habe ich dieses System ausgeweitet und in John-Cage-Manier präpariert. Wichtigstes Utensil dabei ist die Wäscheklammer. Beim Klavier hat jeder Ton im oberen Bereich drei Saiten, im unteren Bereich zwei Saiten und im ganz tiefen, im Bassbereich, nur eine Saite. Wenn ich da, wo ich drei Saiten habe, zwei von den drei Saiten manipuliere, habe ich automatisch einen Mehrklang. Ich nehme drei Saiten mit einer Klammer zusammen, lasse dadurch die innere Saite unberührt, und die äßeren haben eine Spannung, die eine andere Tonhöhe bringt. Ich habe auch Saiten mit einem Holzpfahl auseinandergenommen und mit Schrauben operiert, wobei dann so ein paukenartiger Sound entsteht. Dann gibt es noch rhythmische Möglichkeiten: Wenn ich einen Holzpflock bis auf den Resonanzboden durchstecke, dann habe ich immer ein gewisses Klacken dabei, ein perkussives Geräusch. Der Ton behält jedoch seine Tonhöhe. Bei "Herr Puntila und sein Knecht Matti" in Hannover hatte außerdem Bleche an den Füßen, um weitere rhythmische Elemente zu erzeugen.

TdZ: Warum bot sich das Präparieren bei Becketts "Der Verwaiser" besonders an?

Haagen: Weil die Musik, grob gesagt, mit einem manipulierten Klavier wesentlich abstrakter klingt. Die Präparation ist eine Konstruktion, eine abstrakte Idee, und das passt sehr gut zu den Beckett-Texten, die ja auch keine gefühlsorientierte Prosa sind. "Der Verwaiser" ist ein konstruierter Text, und die Musik passt sich da an. Sie ist kein romantischer Chopin-Walzer, sondern ein Konstrukt. Außerdem klingt das alles sehr modern, weil es für den normalen Zuhörer ungewöhnlich ist. Dadurch kann ich wiederum recht einfach spielen. Ich habe da nicht, wie etwa John Cage, abstrakte, moderne klassische Musik gemacht, sondern recht einfache Sachen gespielt.

TdZ: Der Einfluss von Cage ist unüberhörbar. Welche anderen Komponisten oder Stilrichtungen haben Sie beeinflusst?

Haagen: Was das Präparieren eines Klavieres mit Wäscheklammern angeht, da bin ich natürlich hauptsächlich von John Cage beeinflusst. Wenn ich frei improvisiert habe, war es lange Zeit Debussy, der mich beeinflusst hat. Ursprünglich kommen wir ja beide von der Klassik. Fritz hatte klassischen Cello-, ich Klavierunterricht.

Feger: Zum Cello fügten sich bei mir der Bass und später dann Gesang, zum Klavier bei Philipp die Posaune. so sind wir dann zum Jazz gekommen. Wir haben Gebrauchsmusik gemacht, haben in der Hotellobby Stücke im Stil von Frank Sinatra gespielt.

Haagen: So haben wir uns übrigens kennengelernt. Fritz hatte die Qualität, dass ich ihm nicht die Noten hinlegen musste. Als Pianist spielte ich viel allein, und wenn dann andere Musiker dazukamen, dann brauchten die Noten und wochenlange Proben. Fritz konnte mir mit seinem Bass mühelos folgen. Das war der Beginn unserer fruchtbaren Zusammenarbeit.

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zuletzt aktualisiert am 15.1.2005