Presse > Neue Presse 1997
Seine erste Posaune holte sich der Jazzer für zehn Mark vom Sperrmüll

von Jörg Worat

HANNOVER. Wenn ein Musikus sein Studium antritt, hat er seine Instrumente gemeinhin schon einigermaßen im Griff. Beim hannoverschen Jazzpianisten Philipp Haagen war das 1985 etwas anders: "Ich habe im Nebenfach Posaune gewählt. Weil ich gerade für zehn Mark eine gekauft hatte, die vom Sperrmüll stammte." Damals wußte Haagen kaum, wie herum man das Blasinstrument hält. Inzwischen hat er neben dem Piano- auch das Posaunen-Diplom, und zwar im Hauptfach.

Zwei Studiengänge hintereinander, das ist äußerst ungewöhnlich. Und paßt hervorragend zu einem der eigenwilligsten und eigenständigsten Jazzer, die Hannover zu bieten hat. 33 Lenze zählt der gebürtige Hamburger inzwischen. Er wirkt älter und bezeichnet sich als Spätzünder: "Das ist auch in Ordnung so. Die Dinge, die man macht, haben dann eine gewisse Reife." Haagens Spiel ist sehr intelligent, oft originell und nicht immer ganz leicht eingängig: "Ich finde meine Musik selbst ziemlich anstrengend." Gleichwohl tauchten in seinen Bands hannoversche Spitzenjazzer wie Ulli Orth ebenso auf wie der Bassist Jean-Louis Rassinfosse, der lange mit der Trompetenlegende Chet Baker zusammengewirkt hat. Als nächstes steht freilich ein Soloprojekt auf dem Programm: "Viel Auskomponiertes, manches wirkt gar nicht wie Jazz", sagt der Mann, der neben John Coltrane und Thelonious Monk auch Klassiker wie Strawinsky, Debussy und ganz besonders Bach zu schätzen weiß.

Zudem steht ein abendfüllendes Programm mit Schauspieler Nicolas Rosat an, das unter anderem in der Cumberlandschen Galerie zu sehen sein soll. Dort hat sich Haagen schon in der vergangenen Spielzeit reichlich betätigt: "Ich finde das spartenübergreifende Arbeiten sehr wichtig."

Der umtriebige Künstler hat auch in Andreas Kriegenburgs letztjähriger "Marat"-Inszenierung im Ballhof mitgewirkt. Und dabei die Tuba bedient: "Die hatte ich mir mal in St. Petersburg gekauft, weil sie so billig war." Zum Einsatz war sie zunächst nur kurzfristig bei einem Konzert mit Ulli Orth gekommen: "Ich habe fast nur Klavier gespielt und als Gag zwischendurch auf der Tuba die einzigen drei Töne, die ich damals konnte."

Kleine Ursache, große Wirkung, denn Theatermusiker Laurent Simonetti war an jenem Abend zugegen: "Er rief mich später an und sagte, daß für den ,Marat' ein Tubist benötigt würde. Ich antwortete: ´Interessant, aber ich kenne auch keinen.´ Mir war gar nicht klar, daß er mich meinte." Doch im Staatstheater wollte Haagen schon gerne arbeiten: "So habe ich eine Woche vor Probenbeginn richtig zu üben begonnen ..."

Wie's aussieht, bleibt der vielseitige Künstler Hannover noch ein Weilchen erhalten, akute Abwanderungsgelüste gibt es nicht. Das liegt unter anderem an einem vierjährigen Söhnchen, hervorgegangen aus einer früheren Beziehung. Louis heißt der Kleine - woraus man aber auf keinen Fall auf gar zu traditionelle musikalische Vorlieben des Vaters schließen sollte: "Mit Armstrong", beteuert Haagen, "hat das wirklich nichts zu tun."
zurück
zuletzt aktualisiert am 1.12.2005