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Geschmeidiges Verketten vieler Einflüsse,
durch die eine starke Persönlichkeit schimmert


Es ist eine Geschichte wie sie sich jeden Tag unter Jazzmusikern zuträgt. Ein Schlagzeuger kennt eine Sängerin, die wiederum Kontakt zu einem Bassisten hat, an dem ein Pianist, der mit dem Schlagzeuger in einem Trio spielt, Interesse bekundet. Man macht sich bekannt, gemeinsame Interessen werden erkannt, und aus einem spontan entstandenen Projekt wird ein Piano-Trio. Die Rollen in diesem Verwirrspiel sind besetzt mit Philipp Haagen an den Tasten, Schlagzeuger Billy Bontas und dem belgischen Bassisten Jean-Louis Rassinfosse. Letzterer ist vielen bekannt durch sein langjähriges Schaffen im Dienste Chet Bakers und aktueller Zusammenarbeit mit Klaus Ignatzek, Philipe Catherine und Michel Petrucciani. Der Erste ist einigen bekannt, weil er mit dem Saxophonisten Ulli Orth zusammen unter anderem mit "Philluli" bereits dreimal das Jazzpodium Niedersachsen gewann. Der dritte, Billy Bontas, ist sowohl in seiner Heimat Rumänien als auch in Hannover ein sehr gefragter Musiker.

Wo liegen also die gemeinsamen musikalischen Interessen? Auf den ersten Blick sind sie so leicht nicht auszumachen. Rassinfosse frönt hauptsächlich dem modernen Mainstream. Philipp Haagen sieht sich seinerseits zu einem Gutteil den avantgardistischen, freien Spielarten verpflichtet. Das Sahnehäubchen Drive und Swing setzt der rumänische Schlagzeuger Billy Bontas obendrauf. Diese Melange ist das Spannende an dem Trio, in dem verschiedene Sichtweisen aufeinanderprallen.

Ausdruck dieses Zusammentreffens ist das Konzept des Trios. Die Varianten reichen vom avantgardistischen Piano-Solo über kommunikative Duo-Formen bis zum traditionell klingenden Trio. Das übliche Schema "Ansage, Stück, Applaus" wird zugunsten einer komplexeren Form gebrochen. So folgen auf Stücke von Charles Mingus oder Ornette Coleman ohne Pause eigene Kompositionen oder Standards wie "You don't know what love is". Es entstehen kleine Jazzsuiten, die der kammermusikalischen Vorliebe des Pianisten entgegenkommen und unterschiedlichsten Einflüssen gerecht werden. Diese in größeren Einheiten arbeitende, umfassende Denkart spiegelt sich auch in Philipp Haagens Klavierspiel.

Es ist sein Verdienst, daß Ausflüge in Neue Musik, großzügig ausgelegte Tonalität und freie Elemente durchweg bekömmlich bleiben. Seine Rhythmik besitzt etwas sperriges, bricht gleich wieder mit jedem Beat, den er beginnt. Wie von irgendwoher wirft er fast wirre Einwürfe ein, die den Fluß unterbrechen. So schubst er den Hörer hin und her, der erst einen Takt später verblüfft wahrnimmt, daß der Pianist so spielt als sei nichts gewesen. Doch kaum erholt, kommt die nächste rhythmisch verzahnte Figur von der linken Hand, die wie kleine Wirbel in einem ruhigen Dahinfließen wirken. Auch Standards über Bluesfolgen verpaßt er mit teils ziehenden, hemmenden, teils drückenden Figuren eine irritierende Kur in Sachen freieres Spiel.

Nichtsdestotrotz macht es einfach nur Spaß, ihm in seinen Gedanken zu folgen, zu beobachten, wie seine Wendungen zwischen Verunsicherung und Beruhigung schwanken. Die vielen harmonischen Freiheiten, die sich der Pianist nimmt, bilden über viele Ecken Bezüge zur harmonischen Folge. So registriert der Hörer die Andersartigkeit der Akkorde und kann bewußt oder fühlend die Zusammenhänge nachvollziehen, so daß sich das paradoxe Gefühl von Unbekanntem und Wohlvertrautem einstellt. Mitnichten zusammenhangslos sind seine Ideen, die er so verbindet, daß sie nicht zur bloßen intellektuellen Reise geraten. Manchmal blitzt der Blues unverblümt auf, klärt die Bezüge zur Tradition und bedient die "Bauch-Hörer". Das Resultat ist ein geschmeidiges Verketten vieler Einflüsse, durch die eine starke Persönlichkeit schimmert, die, so Haagen, "sowohl von Lennie Tristano über Bill Evans bis hin zu Cecil Taylor geprägt wurde".

Diese Gratwanderung wird auf der Seite des Mainstream von Rassinfosses faszinierender Fähigkeit zu begleiten gehalten. Eine wie eine Uhr tickende Time zügelt allzu übermütige rhythmische Eskapaden Haagens und schafft somit knirschende Spannung. Auch solistisch setzt er sich vom Patron des Trios mit volltönenden Linien ab, die sich stärker am harmonischen Material orientieren. Zwischen den musikalischen Stühlen und hinter den Toms trommelt versöhnlich Billy Bontas. Dessen Rolle vermittelt zwischen den beiden Polen, favorisiert mal den einen, dann den anderen. Mit offenen Ohren und geschmackvollen Sounds unterstützt er das Geschehen und wird seiner Rolle als Begleiter im besten Sinne gerecht. Das Philipp Haagen-Trio hat nicht das Rad neu erfunden und wird vermutlich auch nicht die Jazzwelt revolutionieren. Es kann ihr aber einige neue, interessante Aspekte hinzufügen und ist allemal Garant für anspruchsvolle, ideenreiche Interpretationen älterer und neuerer Stilrichtungen, die nicht in steifen Denkmustern erstarren.

Thorsten Hess
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zuletzt aktualisiert am 1.12.2005